Aus Anlass des 60jährigen Jubiläums des Schuman-Plans und des Jahres der Diversität an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz führte die Fachschaft Geschichte vom 22.-24.1.2010 unter dem Titel „Europabilder in Zeit und Raum – Von Athen und Rom nach Lissabon“ eine Tagung für Studierende und NachwuchswissenschaftlerInnen durch.
Eine Auswahl der Ergebnisse der Tagung finden Sie zusammengefasst in einem Tagungsband: Beißwenger, Lars u. Fachschaft Geschichte JoGu (Hrsg.): Europabilder in Zeit und Raum - Von Athen und Rom nach Lissabon; Berlin 2010.
Der bewusst weit gesteckte inhaltliche Rahmen entspricht der Forderung des Historikers Jörn Rüsen, der immer wieder auf vorhandene Defizite hinsichtlich eines europäischen Geschichtsbewusstsein hinweist, anhand von einer möglichst großen Themenvielfalt nach dem europäischen Aspekt in unserer Geschichte zu suchen. Die europäische Einigung ist heute Teil der lebensweltlichen Realität der Menschen, doch noch immer wird Geschichte oft noch als Nationalgeschichte betrieben oder der europäische Aspekt verschwindet hinter den spezifischen Ansätzen einer Teildisziplin. Neben der nationalen oder klassenspezifischen Identität steht in der Regel heute noch keine europäische Identität, da oft weitgehend unklar ist, was in unserer Lebenswelt europäische Wurzeln hat und was nicht. Soll die europäische Einigung aber gelingen, bedarf es einer kulturellen Dimension, welche den ökonomischen und politischen Einigungsprozess abstützt.
Die hierbei zu betrachtenden Inhalte reichen von den antiken Ursprüngen der Demokratie und okzidentalen Rationalität, über die Entstehung städtischer Lebensformen, vielfältiger religiöser Entwicklungen und ebenso der Entwicklung der Naturwissenschaften und Künste zum Entstehen des staatlichen Gewaltmonopols und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Europa muss um diese Vielfalt verstehen zu können als ein komplexer Kommunikationszusammenhang von Völkern, Nationen und Regionen gesehen werden. Aber auch über die geographischen Grenzen Europas hinaus wirkt Europa – nicht zuletzt durch eine Europäisierung der Welt durch Berufung auf universalistische Werte und Normen.
Befasst man sich derart mit dem Problemfeld der europäischen Identität wird man schnell mit den Risiken und Problemen eines solchen Forschungsansatzes konfrontiert. Als wesentliche Probleme sind hier vor allem das Risiko eines normativen Selbstpositivismus oder Wertemanichäismus zu sehen. Ebenso riskiert man leicht eine Geschichtsdeutung zu entwickeln, die sich in einer reprojektiven Teleologie verfängt und dadurch die Illusion einer ungebrochenen, kontinuierlichen Entwicklung hin zu einer vermeintlich handlungsleitenden Zukunftsperspektive schafft. Als problematisch erweißt in diesem Zusammenhang auch immer wieder die Neigung zu einem territorialen Zentralismus, der unter Fokussierung auf den eigenen Standpunkt die Anderen marginalisiert. Europa findet sich auch nicht nur in der großen Politik sondern ebenso in der Alltagsgeschichte fernab der Zentren.
Um diesen Problemen und Risiken zu begegnen, ist es geboten auch die historische Belastung Europas zu verdeutlichen und dazu die negativen historischen Erfahrungen in das Geschichtsbild zu integrieren. Die Offenheit und Vielfalt Europas muss ebenso deutlich werden, wie der prozessuale und dynamische Charakter der europäischen Identität. Erst durch die Auflösung eines Europa-fixierten Ethnozentrismus kann ein selbstbewusster Dialog mit anderen Kulturen möglich werden, welcher die notwendige gegenseitige Anerkennungsfähigkeit der jeweiligen kulturellen Identitäten in ihrer historischen Ambivalenz entwickeln kann.