Propaganda – „Alles durchdringende Macht selektiver Realitätskonstruktionen“

Der Tagungsband ist erschienen:

Lars Beißwenger u. d. Fachschaft Geschichte der Johannes Gutenberg - Universität Mainz (Hrsg.): Propaganda - "Alles durchdringende Macht selektiver Realitätskonstruktionen"; Berlin 2011.

 

 

Propaganda ist heute und war es seit man in irgendeiner Form von politischer Öffentlichkeit sprechen kann, ein sozialer Sachverhalt konstitutiv für den Meinungswettbewerb, der gerade in der Moderne eine völlig neue Qualität gewonnen hat. Sie erscheint als ein in sämtlichen Herrschaftskonzepten auftretender Bestandteil des Kampfes um Einfluss durch Kommunikation, der sich in der Regel für den Historiker in der Abfolge der allgemeinen, öffentlichen und der intellektuellen Diskurse nachverfolgen lässt.

Nicht zuletzt die Moderne hat mit ihrer Ausweitung und Verlängerung der Handlungs- und Kommunikationsketten, wie unter anderem von Norbert Elias sehr anschaulich dargestellt, dafür gesorgt, dass Propaganda als ein wesentliches Instrument sozialer Kontrolle notwendig wurde. Die überkommenen gesellschaftlichen Kontrollinstanzen und Stabilisatoren der sozialen Ordnung reichten nicht mehr aus, um die rasant wachsenden Kommunikationszusammenhänge zu kontrollieren. Eine Folge dieser Entwicklung war, dass der Anteil der Informationen über die eigene Welt, die nicht mehr direkt erfahrbar waren, sondern durch Dritte vermittelt wurden, enorm anstieg. Der global oft als ein „Kleiner-Werden“ der Welt gedachte Vorgang bedeutete für das einzelne Individuum hingegen ein gewaltiges „Größer-Werden“ der jeweils eigenen erfassbaren Welt. Der größte Teil davon war, blieb und bleibt es zwangsläufig, nur mittelbar erfahrbar. Das individuelle Weltbild entfaltet sich als ein Konstrukt, vor allem durch den Einfluss der Medien. Da Medien jedoch durch Menschen gemacht werden, die mit dem Akt der Vermittlung von Informationen eigene Interessen verbinden und meist zusätzlich im Interesse weiterer Akteure handeln, stellt dieser Informationsfluss ein enormes Machtpotential dar. In der Regel kommen Medien und andere informationsvermittelnde Akteure nicht einem aufklärerischen Ziel nach, sondern versuchen viel mehr das Gegenteil: die gezielte Durchsetzung eines Weltbildes. Dies geschieht nicht einmal zwingend absichtlich, sondern dadurch, dass die Informationen von Menschen mit jeweils eigenem Weltbild selektiert und transportiert werden.
Doch stellt nicht jeder Akt der Informationsweitergabe ein Fall von Propaganda dar. Propaganda oder Indoktrination ist vielmehr ein Versuch der Überwältigung des Adressaten dar. Das Ziel von Propaganda ist es, selbstständige, rational begründete Urteile zu verhindern. Erste Schritte auf dem Weg zur Indoktrination sind unter anderem Unterschlagung von Optionen oder Alternativen. Die vorgebliche Alternativlosigkeit einer Bewertung ist ein deutliches Signal für den Versuch der propagandistischen Durchsetzung einer Meinung.
Thymian Bussemer nennt Propaganda die „alles durchdringende Macht selektiver Realitätskonstruktionen“. Anhand dieser Begrifflichkeit wird die Aufgabe des Historikers deutlich, der er sich stellen muss, wenn er sich mit dem Phänomen der Propaganda historisch auseinandersetzen will. Es gilt zunächst, Propaganda als solche zu identifizieren, indem man aufzeigt, dass es sich bei den jeweiligen vermittelten Realitäten um Realitätskonstruktionen handelt. Diese werden bewusst durch einen Akteur, der Macht ausübt - in der Regel zunächst Definitionsmacht, will man sich dem Machtverständnis Anthony Giddens anschließen - selektiert und / oder möglicherweise verfälscht um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Ist dieser erste Schritt getan, eröffnen sich dem Historiker zahlreiche weiterführende Fragestellungen: Was sind die Ziele der Akteure? Nach welchem Schema erfolgt die Selektion der Informationen? Wie werden die Informationen verbreitet? Wie ist die Reichweite und Wirkung der Kommunikation? Möglicherweise kann man auch versuchen darzustellen, wie die Zielvorstellungen der jeweiligen Akteure entstanden sind, etc.
Das Forschungsfeld „Propaganda“ stellt sich demnach als ein sehr weites Feld dar, dem man sich sowohl über einzelne Fallstudien aber auch über Querschnittsanalysen annähern kann. Gerade die Kommunikationswissenschaften haben seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine Fülle von Material und Studien zu dem Phänomen Propaganda zusammengestellt und erarbeitet. Oft dienten die in diesem Zusammenhang betriebenen Studien auch aktiv dem Ziel der Propaganda im Sinne einer wissenschaftlichen Dienstleistung für politische Akteure. Dies soll selbstverständlich nicht der Gedanke unserer Tagung sein. Unser Ziel ist eine rein geschichtswissenschaftliche Betrachtung des Phänomens.
Der möglicherweise zu betrachtende Zeitraum umfasst dabei letztlich den gesamten von der Geschichtswissenschaft abgedeckten Bereich. Frühe Formen der Propaganda lassen sich beispielsweise schon bei der Darstellung der Schlacht von Kadesch finden, selbstverständlich auch in der griechischen und römischen Antike, mit ihrer oft in einigen Zügen schon modern anmutenden politischen Öffentlichkeit. In der Moderne gewinnt Propaganda dann eine ganz neue Qualität. Über die Reformation, Gegenreformation und die französische Revolution hin zum industriellen Zeitalter sowie der Postmoderne ist Propaganda ein fester Teil der Gesellschaft geworden. Teilweise verstand man den Propagandabegriff dabei positiv, viel öfter wurde er aber negativ gebraucht. Immer noch bleibt der Begriff aber auch unscharf. Auf dieser Tagung wollen wir versuchen, ein klein wenig mehr Schärfe zu schaffen und zu dem Fundus der Studien, die sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt haben, einen bescheidenen Beitrag zu leisten.

Für die Fachschaft Geschichte der JGU Mainz, Lars Beißwenger